Der Ich-Erzähler des Romans entführt seine Leser in ein Labyrinth aus Leidenschaften, Besessenheiten und politischen und privaten Kämpfen.
Der Kolumbianer José Altamírano lebt zu Beginn der Geschichte im Exil in London und schreibt einen Brief an seine Tochter Eloísa. Während des ganzen Romans richtet sich der Erzähler immer wieder an Eloísa und zugleich direkt an die Leser. Am Anfang der Ereignisse steht der Tod des Autors Joseph Conrad, von dem Altamírano aus der Zeitung erfahren hat.
Er ist seit langem geradezu besessen von Conrad, ist er doch der Überzeugung, von ihm auf grundlegende Art bestohlen worden zu sein: Conrad hat mit seinem Werk Weltruhm erreicht, Altamírano wünscht sich, ein großer Schriftsteller zu sein, ist es aber nicht. Für seinen Roman "Nostromo" bekam Conrad Lob und Anerkennung, wobei Altamírano sicher ist, dass der Autor sich auf eigene Erlebnisse in und um Kolumbien bezieht. Er selbst war bei diesen Erlebnissen in unmittelbarer Nähe Conrads, ohne etwas von den später in "Nostromo" verarbeiteten Ereignissen zu ahnen. Costaguana ist der fiktive Schauplatz des Romans Nostromo und Altmírano leidet unter der Tatsache, zu wissen, welchen Ort und welche Tatsachen Conrad beschreibt. Er fühlt sich um seine Chance, ein großer Schriftsteller zu werden, betrogen und meint als gebührtiger Kolumbianer eher ein Anrecht auf Verarbeiteung des "Stoffes" zu haben als Conrad. So lernt der Leser den Erzähler als enttäuschten, ja beleidigten, und damit zutiefst "menschlichen" Menschen schätzen und mögen.
Altamírano hat sich vorgenommen, die wahre, die unbekannte Geschichte seines Landes und damit die "geheime Geschichte Costaguanas" ans Licht zu bringen. Er erzählt die Geschichte Panamas, ab 1821 (als es ein Teil Kolumbiens wird) bis zum Beginn des 20. Jahhunderts und der Unabhängigkeit Panamas. Am Beispiel seines 1820 geborenen Vaters und später seines eigenen Lebens verdeutlicht der Erzähler, wie die einzelnen Menschen von der Geschichte des Landes und damit letztlich von der Weltgeschichte bestimmt werden. So ist Altamíranos Vater ein vom Fortschritt überzeugter Journalist, der zunächst für die Eisenbahngesellschaft und später als Zeitzeuge und glühender Anhänger des Panama-Kanals schreibt. Bezeichnend ist dabei seine Voreingenommenheit, von der zum Beispiel das Verschweigen unzähliger Toter beim Bau der Eisenbahnlinie zeugt. Und auch was den Bau des Kanals betrifft, der durch seine strategische Lage für die Geschichte Panamas entscheidend ist, schreckt Miguel Altmírano vor falschen Berichten nicht zurück. Panama wird durch den Kanalbau zum Spielball der Weltmächte, denen das Wohlergehen der gewöhnlichen Leute herzlich egal ist. Doch dafür ist Miguel blind. Richtig ist für ihn alles, was den Bau des Kanals befördert. Nicht ohne Folgen: Auf Grund falscher Versprechungen in den Zeitungen kommen Scharen von Ingenieuren aus Europa nach Panama, wo sie und ihre Familien statt von paradiesischen Zuständen von lastender Hitze und unerträglicher Feuchtigkeit empfangen werden. Viele werden krank, sterben oder müssen den Verlust ihrer Kinder und Frauen hinnehmen.
So lernt José Altamírano seine zukünftige Frau Charlotte, die Witwe eines französischen Ingenieurs kennen. Im Unterschied zu seinem Vater Miguel wendet José der Geschichte des Landes ebenso wie der Politik im Allgemeinen den Rücken zu. Mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter Eloísa baut er sich eine familiäre Idylle inmitten der politischen Wirren auf. Doch die Sicherheit trügt und bald muss José schmerzhaft feststellen, dass man niemals außerhalb der Geschichte steht, egal wie man sich zu ihr stellt...
Juan Gabriel Vásquez, Die geheime Geschichte Costaguanas
Schöffling & Co. 2011. 22,95 €